Berlinale 2016 – Here we go again
Vom 11. bis 21. Februar 2016 fand die 66. Berlinale statt und verzückte Kinogänger wieder mit ihrem umfangreichen und vielseitigen Programm. Unser Autor Reiskorn war wieder mit von der Partie und schildert hier seine Eindrücke.
Es geht einfach nichts über eine Presse-Akkreditierung, wenn man die Berlinale in vollen Zügen genießen möchte. Nach 2013 war es jetzt zum zweiten Mal der Fall, dass ich das Privileg hatte, mir einen roten Ausweis um den Hals hängen zu dürfen. Vieles fühlte sich in diesem Jahr vertraut an, einige Kleinigkeiten waren anders. Am Ende war ich wieder froh darüber, diese Anstrengung hinter mich gebracht zu haben – und unendlich traurig.
Die Arbeit ruft – mit George Clooney & Jella Haase
Die größte Veränderung im Vergleich zu den Vorjahren betraf mich persönlich: Ich hatte mir dieses Mal vorgenommen, neben vielen Filmen und noch kommenden Kurzkritiken auch etwas anderes zu probieren und ein wenig journalistisch tätig zu werden. Zwar hatte ich offiziell Urlaub vom meinem Job in einer Online-Redaktion genommen, weshalb ich während des gesamten Festivals absolute Narrenfreiheit genoss. Trotzdem: Im Rahmen der Berlinale publizierte Artikel helfen nicht nur ihr und meinem Arbeitgeber, sondern auch mir mit neuen Erfahrungen, der Vergrößerung meines sichtbaren Outputs und hoffentlich der erhöhten Chance, nächstes Jahr wieder dabei sein zu dürfen – nein, wie eigennützig, wie ich gestehen muss.
Stargespickte Pressekonferenzen waren meine erste Anlaufstelle. Allerdings muss ich zugeben, dass ich Meryl Streep als Teil der internationalen Jury sehr schnell sehr langweilig fand und deshalb alle Hoffnungen auf die “Hail, Caesar!”-Konferenz im Anschluss setzte. Dummerweise wollte ich vorher den Film sehen – danach konnte ich mich glücklich schätzen, überhaupt noch in einer hinteren Ecke einen Stehplatz gefunden zu haben. Als neben vielen anderen Stars auch George Clooney den Raum betrat und loslegte, waren die ersten Anstrengungen schnell vergessen: Dieser Mann ist ein absoluter Medienprofi und beherrscht einen Saal mit hunderten Pressevertretern im Alleingang. Charisma und viel Witz – Clooney überzeugte auf ganzer Linie. Dankenswerterweise ließ er in einem Nebensatz verlauten, dass er sich mit Angela Merkel zum Thema Flüchtlingskrise treffen wollte – und damit war meine erste Aufgabe erfüllt. Schnell das Zitat an die Redaktion geschickt, die daraus als eine der ersten in Deutschland einen Artikel bastelte. Erste Pflicht erfüllt, weiter geht’s!
Interviews wollte ich eigentlich auch gerne führen. Leider war ich viel zu spät dran mit meinen Anfragen, weshalb es bis auf eine Ausnahme gar nicht geklappt hat. Netterweise konnte ich aber ein Gespräch mit Jella Haase ergattern, die im Rahmen der Berlinale als “Europäischer Shooting Star” ausgezeichnet wurde. Eigentlich sollte es nur ein Gruppeninterview mit mehreren Schauspielern und Journalisten werden – aber aus einem mir unerklärlichen Grund fing man damit viel früher und ohne mich an. Das war mein Glück, denn auf Nachfrage wurde mir einfach etwas später ein Einzelgespräch mit dem “Fack ju Göhte”-Star gewährt – das Ergebnis kann man hier nachlesen. Nach einem kurzen inoffiziellen Abstecher ins Büro, galt es nur noch eines zu tun: Filme gucken bis zum Unfallen.
Schnarchnasen im Forum
Gut, es war zwei Jahre her seit meiner letzten Presseakkreditierung und in der Zwischenzeit war ich durch meinen Gig als Teil einer Leserjury auch ein wenig verwöhnt. Deshalb fiel mir eine kleine Änderungen gleich besonders schlimm auf: Der Ticket-Counter öffnete dieses Mal früher seine Pforten und zwar pünktlich um 8 Uhr – das hieß also im Vorfeld noch früher aufstehen. Das mag eigentlich nach keiner unmenschlichen Zeit klingen. Aber wenn man anschließend einen 19-Stunden-Tag durchziehen wollte und das für zehn Tage am Stück, dann machte sich das schnell bemerkbar.
Wenn der Film dann nicht gerade mit Spannung und großen Emotionen punkten kann, wurde es wirklich kritisch – ganz besonders in der Forums-Sektion, in der für gewöhnlich die vergleichsweise anspruchsvolleren Filme liefen. Im Laufe der Tage hatte ich zwar regelmäßig mit Müdigkeit und Sekundenschlaf zu kämpfen gehabt. Aber bei filmischen Schlaftabletten wie “Deadweight” oder “Rio Corgo” schien gleich der ganze Saal kollektiv eingenickt zu sein. Besonders im letzteren Film wurde es deutlich: Links ließ eine Frau mit geschlossenen Augen den Kopf hängen, rechts war ein Mann im Sessel heruntergerutscht – und von irgendwoher war ein lautes Schnarchen zu vernehmen. Ich hoffe wirklich, dass die anwesenden Filmemacher nichts davon mitbekommen haben. Zur heiteren Ehrenrettung der Sektion eilte zumindest “Barakah meets Barakah” herbei – eine romantische Komödie aus Saudi-Arabien, wo noch heute der Bau von Kinos untersagt ist.
Wo der Bär wirklich steppte
Zugegeben, es gab viele langweilige, verwirrende und damit einfach nur ärgerliche Filme zu “bestaunen” – aber zum Glück auch genauso viele sehenswerte Streifen und sogar einige Highlights, die entsprechend vom Publikum honoriert wurden. Das ist ja das Tolle an der Berlinale: Abgesehen von ein paar Ausnahmen schaffen es die Zuschauer sich einmal im Jahr halbwegs im Saal zu benehmen, nicht zu sehr zu nerven und dabei auch noch engagiert bei der Sache zu sein. Es entsteht jedes Mal aufs Neue ein gänzlich anderes Erlebnis, wenn vor und nach dem Screening geklatscht wird. Und viel spannender wurde, wenn es einfach kein Halten gab.
Beim israelisch-palästinensischen “Junction 48″ in der Panorama-Sektion war dies der Fall. Die unterhaltsame wie bewegende Mischung aus “8 Mile” und “La Haine” vor brisantem politischen Hintergrund sorgte für wahre Begeisterungsstürme im Saal, Applaus, der den ganzen Abspann über anhielt und Standing Ovations inklusive. Auch wenn dies die einzige Vorstellung zum Film war, der ich beiwohnte, so muss es bei den anderen Screenings ähnlich abgelaufen sein: “Junction 48″ gewann nämlich den Publikumspreis.
Ebenfalls immer wieder hinreißend mitzuerleben sind die Filme und anschließenden Fragerunden in der Generation, also der Kinder- und Jugendfilmabteilung. Das junge Publikum ist im Durchschnitt einfach viel frenetischer und aktiver in allen Belangen. Als nach dem recht amüsanten “Jamais Contente” wider der anfänglichen Ankündigung mit drei Teenie-Jungs ein Teil der Besetzung auftauchte, ging das unterhaltsamste Q&A der Berlinale los: Die charmanten Franzosen versuchten mit ihrem Akzent möglichst viel auf deutsch zu sprechen, gaben eine Gesangseinlage zum Besten und boten sich den zahlreichen Mädchen im Saal für etwaige Dates an – die Moderatorin befeuerte die gute Stimmung mit Fragen nach deren Beziehungsstatus nur noch mehr. Auch vor dem Saal sollte damit nicht Schluss sein. Dafür, dass es sich um relative Unbekannte handelte, war der Auflauf um sie enorm. Und dann gab es noch den neuen Film von Michael Moore “Where to Invade Next”, eine Mockumentary, die natürlich weniger Wissen vermittelt, als wieder einmal genüsslich auf den USA herumhackt. Sicherlich nicht ganz unproblematisch, aber extrem unterhaltsam – das Publikum goutierte das mit Applaus und Gelächter gefühlt bei jeder zweiten Szene. Tolle Stimmung.
Bis 2017 – hoffentlich
Am Ende haben meine oft schlaflosen Augen 41 Filme u. a. aus den USA, Deutschland, Südkorea, Kanada, Saudi-Arabien, Frankreich, Neuseeland, Dänemark, Japan, Iran, Israel oder Tschechien gesehen. Berlinale, das bedeutet für mich immer vom meist bequemen Kinosessel aus eine Weltreise zu unternehmen.
Und hoffentlich bin ich auch 2017 wieder mit dabei. Dann haben die Veranstalter sich hoffentlich eine neue Lösung für die Leute ausgedacht, die mehrere Filme hintereinander weg im selben Saal schauen. In den meisten Fällen müsste man nämlich nicht nur den Raum verlassen, sondern sich auch ans Ende der Schlange wieder anstellen. Ich habe aber die Einlasser bestochen – mit Kaugummi.
Copyright der Filmstills: Berlinale
Kommentar zu diesem Beitrag
Kommentare abonnieren