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Mommy (2014)

Mittwoch, 19. November 2014 · Autor: Reiskorn

mommy_sceneDas ist nicht meine Geschichte, sondern die eines Freundes. Aber ich hol dennoch aus: Mein Kumpel und ich sind von kleinauf gemeinsam aufgewachsen, wir sahen uns beinahe täglich, gingen auf dieselbe Schule, unsere Familien kannten sich. Alles war gut. Doch eines Nachts, urplötzlich und ganz ohne Ankündigung, verstarb sein Vater. Es war ein Schock für uns alle, aber ein noch unermesslich größerer für ihn. Danach war Vieles nicht mehr so einfach wie es einst war. Reger Bier- und Marihuanakonsum folgten, schlechte Noten sowieso, insgesamt hin und wieder kleinere Konflikte mit den Hütern des Gesetzes. Und eines Tages, weil sie wohl nicht mehr konnte, weil er ihr nutzlos auf der Tasche lag und sie sich ein gemeinsames Leben zu zweit nicht mehr leisten konnte, da schmiss ihn seine Mutter raus. Monatelang war der de facto obdachlos, schlief bei Freunden und lieh sich Geld, auch von mir, damit er einfach überleben konnte.

Ich kenn nicht alle Einzelheiten, die dazu geführt haben und insgesamt wird es wahrscheinlich weniger drastisch gewesen sein, als in “Mommy”, so hoffe ich zumindest. Doch irgendwie scheint mir Xavier Dolans jüngstes Werk zumindest eine Ahnung davon zu geben, was vielleicht auch bei meinem Freund mal passiert sein könnte. Auch Diane (Anne Dorval) sieht sich mit einem, gelinde gesagt, schwierigen Sohn konfrontiert, den sie als ihr eigen Fleisch und Blut über alles liebt, ihn aber wegen seiner ADHS-bedingten Aggressionen mindestens genauso fürchtet und der möglichweise ebenfalls wegen des Todes seines Vaters den rechten Weg verloren hat. Sie und Steve (Antoine-Olivier Pilon) sind pures Leinwanddynamit, ihr lauter, vulgärer Umgangston der Proleten versteckt dabei gekonnt die große Zärtlichkeit, die darunter schimmert und sich immer wieder mal Bahn bricht, so ungesund sie für beide anmutet. Beide spielen zum niederknien alle Emotionen heraus, als gäbe es keinen Morgen mehr, schreien, fluchen, prügeln und heulen mit geradezu theatralischer Leidenschaft. Das ist über die nicht geringe Laufzeit eine Herausforderung, zweifelsohne, allerdings eine lohnenswerte. Gemeinsam scheinen sie gefangen in der Ausweglosigkeit in der Situation miteinander, bei der nur die schüchterne Nachbarin für Auflockerung zu sorgen scheint – sie hat ihr ganz eigenes Kreuz zu tragen, so wird unmissverständlich angedeutet, ihre Beziehung zu Steve folgt dabei einer eigenen, nicht weniger interessanten Dynamik. So feurig, wie sie agieren, so trist sind die Seelen aller, doch wenn sich kleine Hoffnungsschimmer breit machen, dann im wahrsten Sinne des Wortes (und mehr wird dazu nicht verraten, außer, dass es einer der magischsten Momente des Kinojahres 2014 ist). Dolan holt aber nicht nur das Maximalste aus seinen Darstellern, sondern badet seine Bilder stets im perfekten, stimmigen Licht und scheut auch Techniken nicht, die bisweilen an Musikvideoästhetik erinnern – schönen Musikvideos, wohlgemerkt, inklusive einem insgesamt sehr poppigen Soundtrack, dessen Einsatz passend wie kitschig und offensichtlich ist.

In seiner Essenz stellt sich der Film die Frage, wieviel Nähe zum Sprössling, gerade wenn es sich um jemanden wie Steve handelt, gut für eine Mutter sein kann. Wieviel kann mütterliche Liebe verzeihen, wieviel kann sie geben bis vielleicht endgültig alle Ressourcen der Fürsorge erschöpft sind? In einer himmelhoch jauchzend schönen Sequenz spielt Diane die Möglichkeit des erzieherischen Erfolges durch und den Pfad, den das Leben anschließend gehen könnte, nur um durch einen der ernüchterndsten Schnitte der letzten Zeit wieder in der Realität zu landen. Vielleicht sind sich sie und ihr Sohn zu ähnlich, als dass es von Erfolg gekrönt sein könnte. Sie, die Mutter, die alles gibt und ultimativ einfach nichts erreicht und er, der Satan mit Engelsgesicht und in seinem destruktiven Wesen auch vollständig unschuldig. So muss die Mutter aufhören, Mutter zu sein, um sich anschließend die Richtigkeit dessen einzureden, abgenabelt von allen Menschen, denen sie je etwas bedeutet hat und konfrontiert mit der gähnenden Leere die entsteht, voller Liebe zu sein, die sie nicht weitergeben kann.

mommy_coverIch konnte es damals gar nicht glauben, dass mein Kumpel vor die Tür gesetzt worden ist und verdammte diese Entscheidung. Wir waren Teenies, was wussten wir denn schon. Seine Mutter hingegen wird es besser gewusst haben.

Zusätzliche Informationen zum Film

Originaltitel: Mommy Land: Kanada Jahr: 2014 Regie: Xavier Dolan Darsteller: Anne Dorval, Antoine-Olivier Pilon, Suzanne Clément Weitere Infos: IMDB

Redaktion:
★★★★★★★★☆☆ 

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Leser: 10.0/10 (2 Bewertungen eingegangen)
Mommy (2014), 10.0 out of 10 based on 2 ratings

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