Irréversible
Einen Film rückwärts erzählen und dabei auch noch funktionieren zu lassen, das ist mitnichten ein einfaches Unterfangen. Christopher Nolan hat das bereits mit “Memento” erfolgreich durchgeführt und uns am fehlenden Kurzzeitgedächtnis seines Protagonisten teilhaben lassen und auch der Franzose Gaspar Noé rollt seinen Film “Irréversibel” lieber von hinten auf. Unter der Überschrift “Die Zeit zerstört alles” taucht dieser jedoch ganz tief in menschliche Abgründe, nicht nur im übertragenen, sondern gerade am Anfang auch im audio-visuellen Sinne. Die Kamera vollführt waghalsige und tatsächlich schwindelerregende Manöver, dreht sich mehrfach um die eigene Achse, der Sound klingt dabei teilweise verschleiert wie das Bild selbst, nur um den Zuschauer in ein pulsierendes, intensives wie verstörend-aggressives Rot zu entlassen. Willkommen in der Hölle Mensch. Dass die Episoden, in denen der Film rückwärts erzählt wird, scheinbar ohne einen einzigen Schnitt auskommen, macht die Tour-de-Force für den Rezipienten komplett. Lieb es oder hass es, aber schon allein formal dürfte dieser Film niemanden kalt lassen. Und was man zu sehen bekommt ist pure Aggression, Verzweiflung, überwältigende Gewalt. Zwei Männer auf der Suche nach einem Anderen, warum, weshalb, das erfährt man zunächst nicht. Doch erst die Rückwärtserzählung macht deutlich, was diese Menschen wirklich zu ihren Handlungen motiviert und ein an sich harmloser Satz, in etwa “Geh mal mehr aus dir heraus!” bekommt erst rückwirkend, mit dem Wissen um das Ende der Geschichte, soviel sei verraten, eine ganz bittere Note. Und überhaupt: Wäre die Geschichte normal erzählt worden, sie wäre vermutlich nur ein ganz fragiles Gerüst aus Szenen, die aneinandergereiht werden. Doch erst rückwärts wird eine nachträgliche Tragik im Film installiert, die ihre Wirkung nicht verfehlt: Erst mit fortschreitender Filmdauer werden die Figuren mit Leben gefüllt, erst später werden sie uns vorgestellt und können wir mit ihnen sympathisieren, doch anders als die Figuren wissen wir -leider- was noch auf sie zukommen wird und man möchte geradezu Mitleid haben. Die ganze Bandbreite an Verlust, Leid und Fehlentscheidungen wird so noch eindrücklicher gemacht. “Die Zeit zerstört alles”. So ist es. Erst mit Voranschreiten des Films wird die Zerstörung klar und deutlich und gerade wenn die friedlichsten Szenen im Film laufen, voller Liebe und Harmonie, dann erdrückt sie, diese Zerstörung, am meisten.
Zusätzliche Informationen zum Film
Originaltitel: Irréversible Land: Frankreich Jahr: 2002 Regie: Gaspar Noé Darsteller: Monica Bellucci, Vincent Cassel, Albert Dupontel, Philippe Nahon Weitere Infos: IMDB, Amazon
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