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Flucht nach Varennes

Dienstag, 29. Juli 2014 · Autor: bdm

flucht_nach_varennes_sceneFilme über die Zeit der Französischen Revolution gibt es viele und auch viele gute – doch kaum einer hat die ganze Tragweite dieses Epochenumbruchs so subtil und vielschichtig reflektiert wie Ettore Scolas mit viel Filmprominenz gespicktes Anti-Epos aus dem Jahr 1982. Die Rahmengeschichte: 1791 versucht der französische König Ludwig XVI. sich in den Revolutionswirren inkognito ins königstreue Grenzgebiet abzusetzen. Seine “Flucht nach Varennes” endet kläglich im Haus eines Kerzenmachers und offenbart, wie weit der Bedeutungsverlust des Herrschers bereits fortgeschritten ist. Scolas großartiger Einfall ist es, diese dramatischen Geschehnisse nur indirekt zu zeigen, sich also quasi in den Windschatten der Geschichte zu hängen. Sein Film ist aus der Perspektive einer Reisegesellschaft erzählt, die der königlichen Kutsche im Abstand von wenigen Stunden auf der Straße nach Varennes folgt. Prominente Zeitgenossen mit höchst unterschiedlichen Ansichten zum Fortgang der Ereignisse sitzen da zusammen. Darunter der Romancier Restif de La Bretonne, ein gealterter, lebensüberdrüssiger Giacomo Casanova, der amerikanische Gründervater Thomas Paine und eine entrückt wirkende Comtesse, die sich in Träume von vergangenem royalem Glanz flüchtet. Stellvertreterfiguren aus Hof, Kunst und Intelligenz also, welche die ihnen bei jeder Rast zugetragenen Neuigkeiten über Verlauf und Wendungen der Flucht zum Anlass für Konversationen über einen politischen Windwechsel nehmen, der sich längst zu einem unkontrollierbaren Sturm auszuwachsen droht. Die Qualität dieses glänzend geschriebenen Films liegt auch darin, dass er die Vorzüge und das Versagen beider Parteien zeigt: das hohe kulturelle Niveau und die Abgehobenheit des Ancien Régime auf der einen Seite, den Gerechtigkeitsdurst und die Verführbarkeit des aufsteigenden Bürgertums auf der anderen. Am Ende wendet sich der hellsichtige Chronist Restif de la Bretonne in einer in der deutschen Fassung kurioserweise komplett geschnittenen Szene direkt an das Publikum, während er aus einem Seinetunnel des 18. Jahrhunderts in das Paris der Gegenwart heraufsteigt. Die moderne Gesellschaft, flucht_nach_varennes_coverso seine Botschaft, ist das Ergebnis harter Kämpfe und großer Entbehrungen – und man sollte sich nicht darüber täuschen, dass sie die gleichen Risiken und Chancen in ihrer DNA trägt wie die ihrer Vorväter.

Zusätzliche Informationen zum Film

Originaltitel: La nuit de Varennes Land: Frankreich, Italien Jahr: 1982 Regie: Ettore Scola Darsteller: Jean-Louis Barrault, Marcello Mastroianni, Hanna Schygulla, Harvey Keitel, Laura Betti, Jean-Louis Trintignant, Andréa Ferréol Weitere Infos: IMDB, Amazon

Redaktion:
★★★★★★★½☆☆ 

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