Deutschland im Jahre Null
Den Neorealismus, wie ihn hier auch Roberto Rossellini zelebriert, kann man auch unter der Sammelbegrifflichkeit “den Finger in die Wunde legen” zusammenfassen. Wobei dieser Film noch weit darüber hinaus geht, ja regelrecht bohrt und kratzt, damit auch der kleinste Schmutz aus der Wunde entfernt wird und alsdann ein Heilungsprozess beginnen kann. Rossellini begibt sich mit seinem Film ins Berlin des Jahres 1948, um gewissermaßen eine Bestandsaufnahme zum deutschen Volksbefinden in den Jahren nach dem Krieg zu machen. Die Null bzw. der Nullpunkt impliziert einen Neuanfang. Ein Ablegen des Alten, das Annehmen und Überstülpen des Neuen. Nur, so einfach ist das wahrlich nicht: alte Strukturen und Denkweisen sind auch wenige Jahre nach Kriegsende immer noch in den Köpfen der Leute. Als Kulisse dient dem Regisseur das geschundene, da ziemlich zerbombte Berlin, in dem sich die Leute mit dem wenigen, was ihnen geblieben ist, über Wasser halten. Der zwölfjährige Edmund bildet da mit seiner Familie keine Ausnahme. Der Vater kränkelt und der ältere Bruder, der eigentlich eine Führungsrolle übernehmen müsste, kämpft mit den Dämonen des Vergangenen. Eine “normale” Kindheit ist in einer solchen Umgebung natürlich kaum möglich, da auch die Jungen vollauf damit beschäftigt sind, Essbares aufzutreiben und auch sonst nicht unterzugehen. Rossellini nimmt kein Blatt vor die Kameralinse. Schonungslos zeigt er auf woran die damalige und, hier ist er ziemlich visionär, auch die heutige Gesellschaft noch zu kranken scheinen. Wann ist aber diese “Stunde Null” erreicht? Wenn der Letze gestorben ist, der den Krieg miterlebt hat? Oder wenn man sich tiefgehend und nachhaltig mit der Vergangenheit auseinander gesetzt hat, um sie ein Stück weit abzuschließen? Schwer zu sagen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Stunde immer noch nicht erreicht wurde und vielleicht auch gar nicht erreicht werden kann. Ein unheimlich wichtiger Film also, der zum Nachdenken anregt und eigentlich aus Deutschland selbst hätte kommen müssen.
Zusätzliche Informationen zum Film
Originaltitel: Germania, anno zero Land: Italien, Frankreich, Deutschland Jahr: 1948 Regie: Darsteller: Roberto RosselliniWeitere Infos: IMDB, Amazon
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