Der diskrete Charme der Bourgeoisie
Einmal öffnet sich in diesem Film unvermittelt eine Wand und gibt den Blick auf einen vollbesetzten Theatersaal frei. Die eben noch private Abendgesellschaft findet sich auf einer Bühne den Blicken des Publikums ausgesetzt: das Großbürgertum als große Komödie. Im Gegensatz zum inhaltlich verwandten “Würgeengel” aus der mexikanischen Phase des Regisseurs, fallen die spöttischen Seitenhiebe diesmal dennoch fast zurückhaltend aus. Ein bourgeoiser Freundeskreis versucht wieder und wieder sich zum Dinner zu verabreden, kommt aber nie über den Begrüßungschampagner hinaus. Mal gibt sich das gastgebende Paar lieber einem Quickie hin, mal ist mitten im Restaurant ein Toter aufgebahrt, dann stehen plötzlich Polizei, Armee und Terroristen in der Wohnung. Regelmäßig entpuppen sich Handlungsstränge als bizarre Traumsequenzen und werden abrupt abgebrochen. So wie die Handlung auf der Stelle tritt, erweisen sich ihre Figuren als in inhaltslosen gesellschaftlichen Ritualen gefangen. Als passionierter Kirchenkritiker lässt Bunuel es sich pikanterweise nicht nehmen, ausgerechnet jene Passage nicht als Traum zu markieren, in der ein Bischof einem Landarbeiter nach der letzten Ölung eine Kugel in den Schädel jagt. Ein leichter, unterhaltsamer Film mit gut aufgelegten Darstellern also, in dem Bunuel wieder verstärkt auf surrealistische Erzählelemente zurückgreift, der aber weit von der Klasse seiner Meisterwerke aus den 60er Jahren entfernt ist.
Zusätzliche Informationen zum Film
Originaltitel: Le charme discret de la bourgeoisie Land: Frankreich, Italien, Spanien Jahr: 1972 Regie: Luis Bunuel Darsteller: Fernando Rey, Delphine Seyrig, Stéphane Audran Weitere Infos: IMDB, Amazon
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