Agonie
Ob “Geh und sieh”, “Abschied von Matjora” oder eben “Agonie” – es ist interessant, dass sich die großen Filme von Elem Klimow allesamt um Umwälzung und Untergang drehen. “Agonie”, bereits 1974 entstanden, von der sowjetischen Zensur jedoch lange Jahre zurückgehalten, entfaltet ein düsteres Panorama der letzten Tage des zaristischen Russland. Unter den Romanows hat sich die damals größte Monarchie der Welt in ein Pulverfass verwandelt. An der Westfront droht eine vernichtende Niederlage, in der Heimat entlädt sich der Zorn der ausgebeuteten Arbeiter. Klimow geht hier den kürzesten Weg und zeigt nüchtern kommentierte, rasant geschnittene Originalaufnahmen von brutalen Straßenschlachten, aufstrebenden Bolschewiki und allerlei dubiosen Gestalten wie Propheten, Okkultisten oder Hypnotiseuren, die sich die Gemengelage zunutze machen wollen und nach gesellschaftlichem Einfluss streben. Womit wir bei Grigori Jefimowitsch Rasputin wären, hier geradezu bestialisch verkörpert von Aleksei Petrenko. Der mysteriöse Zauselbart mit dem stechenden Blick ist als Geistheiler und Wanderprediger aus der Provinz gekommen, am Hof schnell aufgestiegen und über seine enge Verbindung zur Gattin des Zaren mittlerweile zu einer ernstzunehmenden gesellschaftlichen Größe geworden. Er ist die Hauptperson von “Agonie”, doch hat Klimow herzlich wenig Interesse daran, nur biographische Stationen abzuhaken. Die extreme Zerissenheit des heiligen Teufels Rasputin dient ihm vielmehr als Bild für den Verwesungszustand eines Systems, das nicht mehr die Kraft aufbringt, sich aus sich selbst heraus zu erneuern und deshalb binnen kürzester Zeit ausgetilgt werden wird. Obwohl sein Film als Collage zwangsläufig einen etwas zerfahrenen Eindruck macht und sich gegen Ende leichte Längen einschleichen: wenn es um morbide Bilder und aus den Fugen geratende Welten geht, kann Klimow keiner so schnell das Wasser reichen.
Zusätzliche Informationen zum Film
Originaltitel: Agoniya Land: Sowjetunion Jahr: 1981 Regie: Elem Klimov Darsteller: Aleksei Petrenko, Anatoli Romashin, Velta LineWeitere Infos: IMDB, Amazon
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